Ralf Debus
Auge in Auge
Zur Wirkung der Selbstporträts von Petra Maria Runge
"Selbstporträt" - Zeichnung von Petra Maria Runge
Bei der Auseinandersetzung mit den Selbstporträts von Petra Maria Runge musste ich an Hermann Hesse denken, an sein Verhältnis zur Lyrik: „Alle Lyrik ist Spiegelung der Welt im vereinzelten Ich, Antwort des Ich auf die Welt, ist Klage, Besinnung und Spiel einer ganz und gar bewußt gewordenen Vereinsamung.“ (1) Wer Hesse ein wenig kennt, weiß, daß mit „Vereinsamung“ viel weniger ein sozialer Tatbestand umschrieben wird, sondern eine radikale künstlerische Haltung. Eine Haltung, die man auch bei der bildenden Künstlerin Petra Maria Runge wiederfindet. Diese Selbstporträts wirken verschlossen, spröde, manchmal verstörend und kalt, ja oft brutal, fast ohne jede Rücksichtnahme gegen sich selbst, und das in einer handwerklichen Meisterschaft, die selten ist.
Diese bisher herausgestellten Züge sollen nicht mehr als eine Einführung geben, ein paar Wegmarken der emotional aufgeladenen Reise in die Kunst von Petra Maria Runge.
Diese Selbstporträts sind in Beziehung zu setzen zum weiteren Werk der Künstlerin. Erst dann wird der ganze Horizont sichtbar, vor dem Petra Maria Runge ihre symbolischen Zerstörungen und Demaskierungen der Wirklichkeit aber auch ihre Wiederherstellungen und Neuschöpfungen verstörend sinnlich ins Werk setzt.
Das Spiel mit Zerreißproben
"Selbstporträt" - Zeichnung von Petra Maria Runge
Die Künstlerin läßt uns an einem Entwicklungsprozeß teilhaben, in dem mit Ausdruckskämpfen der Seele und mit Darstellungsformen des Zeichnerischen gespielt wird.
Ja, durchaus gespielt wird. Die Einseitigkeit im Atmosphärischen, wo das Dunkle, Harte, Spitze und Wirre dieser Blätter Kampf, Qual und Panzerung ausdrücken, wird immer gebrochen und neu geformt, so daß der Prozeß dieser Auseinandersetzung für den Betrachter emotional spürbar wird. Aber das ist nicht leicht zu entdecken. Die Künstlerin macht es dem Betrachter schwer. Er braucht Kondition, er darf sich nicht gleich den ersten verstörenden Eindrücken ergeben. „Zeig her Deine Wunde“(Josef Beuys (2) ) ist Programm und Thema der modernen Kunst. Es ist immer ein Angriff auf die seelische Integrität des Kunst-Konsumenten. Petra Maria Runge belastet den Betrachter, greift ihn an, läßt ihn abprallen in seinen Versuchen, eine schnelle Erlösung von seinen unangenehmen Erfahrungen angesichts dieser Blätter zu finden.
Es gilt die Gefahr der eigenen Selbstentblößung auszuhalten. Wenn sich ein fremdes Ich vor unseren Augen seiner Masken entledigt, kann es immer passieren, daß wir auf unser eigenes Doppelleben aufmerksam werden, auf unsere Maskeraden und Verwirrspiele, mit denen wir eigenes Leid und die Schatten unseres Lebens zu verstecken wünschen.
Wenn der Betrachter in der Lage ist, Auge in Auge diesen Angriff auszuhalten, hat er es geschafft. Er kann eintreten in die subtilen und expressiven Formen des zeichnerischen Spiels. Brüche, Kontraste und Rhythmen gilt es zu entdecken, ebenso exclusive Inseln des Schönen (z.B. an der Formenbildung des Mundes). Allerdings, wir hoffen vergebens auf ein Lächeln, auf versöhnliche Harmonien und Entspanntheiten. Der Betrachter bleibt immer in einer Spannung, die nie ihre beunruhigende Qualität verliert: Verletzendes und Verletztes,Totenstarre und qualvoller Aufschrei, spröde Zickigkeit und haltloses Zerfließen, wirres Zerspringen und feinziselierte Form, vollendete Plastizität und todesnahe Erschöpfung, malerische Geschlossenheit und seelische Verpanzerung, feinste Schattierung und hingerotzter Strich.
Tragendes Formgerüst, unverwechselbar
"Selbstporträt" - Zeichnung von Petra Maria Runge
Die Aufzählung ließe sich noch fortsetzen. Der Betrachter möge selber auf Entdeckungsreise gehen und weitere Zerreißproben finden. Diese Spannungen bringen ein Thema hervor, das man die Ungeborgenheit des Ichs nennen kann. Aber indem dieses Thema immer wieder anders angegangen und gelöst wird, stellt sich paradoxerweise etwas Stimmiges ein. Egal, ob wir die Entblößung und Verwundung in den wirren Haaren, im kühlen Brillenausdruck, im irren Blick, in der Totenmaske, in zerfließenden Wangen oder im zerspringenden und eisigen Gesicht sehen, uns wächst in den ständigen Schnitten und Umbrüchen der Blätter ein Halt entgegen. So ist das Werk (1) eine subtil ausgearbeitete, malerische und höchst plastische Zeichnung, deren immense Suggestibilität rein aus dem Spiel der Schattierungen erwächst. Im völligen Gegensatz zu Werk (2), dass in sehr kurzer Zeit hingeworfen wurde, fast nur aus einer einzigen, mehrfach gebrochenen Linie besteht, flächig, durch ein paar nachlässige Schraffierungen unterstützt. Kein Strich ist da zuviel und keiner zu wenig. Komplette, perfekte Kunstwerke. Das Gegen –und Miteinander von skizzenhaften Andeutungen und präzisen Fokussierungen ist ein Bildungsprinzip dieser Arbeiten. Ein zerlaufender teigiger Kopf bekommt den ihn haltenden Gegenpol in einem wachen, lauernden Blick. Aufgerissene, ungeschützte Gesichtsflächen werden in einem sinnlichen Mund verankert. Hier ist bei allem Kampf mit sich selbst eine Entschiedenheit am Werk, die tragende unverwechselbare Formgerüste schafft.
Lust, das Verdrängte verfügbar zu machen
"Selbstporträt" - Zeichnung von Petra Maria Runge
Es ist ein Kennzeichen von Kunstwerken, daß sie uns verführen, auf eine Entdeckungsreise zu gehen. Diese Gesichter in Bewegung packen oder stoßen ab. Sie bringen uns in eine verstörende Lage, die sich in ständigen Variationen zuspitzt. Aber dann merkt man, mit welchem Können hier Seelenlagen porträtiert und Köpfe konstruiert werden. Der Betrachter geht durch diese Blätter, durch diesen Prozeß, und sie geben ihm dabei eine Liebe preis: Eine Liebe zum Detail, zum zeichnerischen Spiel, zum Alltäglichen und Handwerklichen. Es wird eine Lust an stofflich sinnlicher Materialbewältigung anschaulich, die im ersten Zugriff nicht verfügbar ist und schmerzlich vermißt wird.
Petra Maria Runge macht in ihren Arbeiten das Ausgeschlossene und Verdrängte verfügbar.
Sie experimentiert mit Extremisierungen. Das sind aber nie beliebige, sondern klar bestimmbare Formen, die ihre Themen durchlässig machen und sich nicht hinter „Spielereien“ verstecken. Diese Kunst ist die Versinnlichung eines Prozesses, in dem das Verletzte und Zerstörte ein Widerlager in der Liebe zur stofflich faßbaren Gestaltung findet.
Petra Maria Runge hat sich „ganz und gar bewußt“ scharf ins Auge gefaßt. Dasselbe widerfährt dem Betrachter. Hält er es aus, dann fällt ihm ein Geschenk zu: Die Erfahrung, daß wir auch ungeschützt und nackt, ohne unsere alltäglichen Maskeraden, sehr wohl geerdete und tragende Formen bilden können.
1) Hermann Hesse, Gedichte, Frankfurt 1998
2) Joseph Beuys, Werktitel, 1976
© Ralf Debus aus Petra Maria Runge "Zeichen - Körper - Objekt" - Bonn 2003
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