Ralf Debus
Der psychologische Blick und die Magie der Malerei
Hinweise zur Wirkung der Kunst von Helena Parada
Kunst ist, wenn sich Können ins Geheimnis wendet
Rainer Maria Rilke
Zu Zweit
Till und Martina (Öl auf Leinwand /190x250cm/2010/2011)
Hier rumort es. Irritation, Überraschung, Erstaunen! Was geht hier vor? Eine banale Szene und doch ist sofort ein Knistern zu spüren. Stocksteif, wie eine dunkle Säule aufgerichtet, steht ein attraktiver junger Mann hinter einer sitzenden reizvollen Frau. Die Hände stecken tief in den Taschen seiner auffällig quergestreiften Hose. Das hat etwas latent Herausforderndes und Provokantes. Die junge Frau sitzt dagegen wie hingegossen, mit seitlich weit ausgestreckten Beinen auf einem einfachen Stuhl mit silbrig glänzenden Metallbeinen. Das ist eine konträre und zwiespältige szenische Anordnung. Die Frau trägt ein langes Bustierkleid, das ihren Brustansatz leicht hochschiebt und sehr vorteilhaft ihren Körper betont; es gibt gleichzeitig die Schultern und Arme frei. Ihr Blick ist nach unten bzw. nach innen gerichtet. Die Augen scheinen fast geschlossen zu sein. Das Mienenspiel wirkt wie angehalten: melancholisch, kühl und selbstbezogen, mit dem Anflug einer momentanen Verbitterung. Unter dem linken Auge ist eine winzige Hautfalte zu sehen, die diesen dunklen Hauch über das Gesicht wirft. Der Mann hat volles, weich fallendes Haar, das sich in einem flaumigen Bart fortsetzt; er schaut sehr ernst und wach, nicht frei und offen, sondern mit einer fast bohrenden, lauernden Anspannung.
Spannungen
"Till und Martina" - Öl auf Leinwand - Helena Parada (Ausschnitt)
Das ist es. Die Anspannung zwischen beiden, ist mit Händen zu greifen. Ihre Körper sind einander zugeordnet, doch die Köpfe haben sich weggedreht. Beide halten den Mund verschlossen; die Oberkörper scheinen den Atem nicht freigeben zu wollen. Der Blick des Mannes führt an der Frau vorbei, raus aus dem Bild. Er nimmt ihre malerische Schönheit nicht wahr: Das leuchtende blaue Kleid mit dem hellen floralen Einsatz, die weichen braunen Haare, die kunstvoll bis zur rechten Brust herunter drapiert sind und den Oberkörper betonen: `Hier sitz ich und Du kriegst nichts mit, stehst da, wie mit verschlucktem Besenstil, tatenlos mit den Händen in den Taschen.` Das könnte der unausgesprochene Vorwurf sein, den dieses in sich gekehrte Gesicht der jungen Frau ausdrückt. Helena Parada hat eine hoch aufgeladene konflikthafte Paarkonstellation kreiert, die dieses Bild vibrieren lässt. Beide Figuren strahlen in ihrem entschiedenen `So-sein` eine starke Präsenz aus. Die Künstlerin offenbart in der Herstellung dieser Szene ihren zutiefst differenzierten psychologischen Blick.
Gegenläufe
"Till und Martina" - Öl auf Leinwand - Helena Parada (Ausschnitt)
Kunst verlangt ein Sich - einlassen. Dieses Werk kann auch Abwehr provozieren, z.B., wenn man es unbewusst als Spiegel eigener partnerschaftlicher Verhärtungen erlebt. Schafft man es aber, diese spannungsreiche Figuration anzunehmen, dann wird ein Weg frei; es öffnet sich der Raum für eine spezifische Kunsterfahrung. Jetzt kann man genießen, wie die Malerin ihre kompositorischen Mittel ausbreitet. Sie setzt das Dunkle gegen das Helle, z. B. die leuchtende Haut der Frau gegen die dunkle Kleidung des Mannes. Sie konfrontiert das Fließende mit dem Statischen, die starren Vertikalen in Wand und Mann mit den weichen Formen des Frauenkörpers. Aus der Nüchternheit des Raumes hebt sich die stille Erotik der Frau heraus. Die Kühle des Bodens kontrastiert zum warmen Hintergrund. Die weichen braunen Farbmassen stehen den steifen muskulären Verspannungen gegenüber; die Einfachheit der szenischen Anordnung bildet einen krassen Widerspruch zur diffizilen emotionalen Verwicklung, usw…usw… . Je mehr diese Verhältnisse verführen und einnehmen, umso mehr wird uns das genussvolle Spiel mit den Gegensätzen bewusst.
Korrespondenzen
Das gestalterische Spiel wirkt nicht gewollt, sondern hat etwas Selbstverständliches an sich, so als ob es sein müsste; alleine das ist ein Ausweis großen Könnens. Das Werk entfaltet sich in dem Prozess unseres Erlebens. Indem wir den Gegenläufen des Bildes folgen, wächst uns eine weitere Erfahrung entgegen: Es sind die Korrespondenzen, die hier wirksam sind. Bei genauerem Hinsehen werden die beiden Figuren von einem Dreieck umschlossen, ebenso liegt zwischen ihnen ein Dreieck. Mehrere Schrägen führen fast parallel durch das Werk. Im Licht korrespondieren die beiden Gesichter; ein milder Schein fällt auf beide Scheitel, wie auf die weich fallenden Haare; auch die beiden linken Handrücken sind in einer Schräge miteinander verbunden.
So wie die emotionale Spannung zwischen dem Paar offensichtlich ist, so gibt es komplementär dazu eine subtile, latente Verbindung zwischen Mann und Frau.
Diese Verbindung stellt Helena Parada nicht psychologisch her, sondern rein malerisch und kompositorisch, mit Hilfe der Lichtregie und dem feinsinnigen Zusammenspielvon Gegenläufen und Korrespondenzen.
Auf diese Weise offenbart das Bild ein höchst reizvolles, elegantes Gestaltungsprinzip: Die paradoxe Einheit der Gegensätze:
Das Offensichtliche, Trennende und Psychologische im Werk ergänzt sich mit dem Subtilen, Verbindenden und Malerischen.
Die Magie des Lichts
"Till und Martina" - Öl auf Leinwand - Helena Parada
Das Bild zeigt den Ausschnitt eines Raumes, wir sehen nur einen Teil des Bodens und einen Teil der Wand hinter den Figuren. Eine Leinwand, die manvon hinten sieht, wird vom Bildrand abgeschnitten, ebenso einige stangenartige Gebilde, die aufgestapelt am Boden liegen. Wie es nach links und rechts, nach oben und nach vorne im Raum weiter geht, bleibt dem Betrachter verborgen. Der Raum ist ausschnitthaft, reduziert und unbestimmt. Das gibt ihm paradoxerweise einen intimen, verdichteten, bühnenhaften Charakter. Helena Parada kann so ihre Figuren herausrücken, aber vor allem hat sie eine Bühne für ihr Licht geschaffen.
Auf dem Boden liegt ein sehr kühles gräuliches Licht. Es hebt die konflikthafte Spannung zwischen den beiden mit einer fast unbarmherzigen, chirurgischen Präzision hervor. Doch aus dem Hintergrund der warmen Holzwand leuchtet ein verhaltener, wie beiläufig wirkender Lichtschein. Ein mildes Strahlen, fast märchenhaft und geheimnisvoll wie aus braunen Kristallen. In diesem Licht bekommt das Paar eine untergründige, verbindende Aura, beim dunklen Mann ist sie heller, bei der helleren Frau ist sie dunkler. Das ist meisterhaft gestaltet. Die Ergänzung der Gegensätze erfährt im Zusammenspiel von Raum und Licht nochmal eine phantastische Steigerung und Zuspitzung. Die Lichtregie lässt allen Zwiespalt leben und bestehen und zugleich gibt sie dem gesamten Werk einen warmen inneren Zusammenhalt.
Das Fassbare und das Unerklärliche
Mann und Frau, Raum und Licht ! Mit einer klar umrissenen Grundfiguration entwickelt Helena Parada ein wunderbares Beziehungsspiel. Aus einem differenzierten Reichtum an Dissonanzen und Widersprüchen komponiert sie einen funkelnden Zusammenklang.
Es ließe sich noch einiges zum raffinierten Können der Künstlerin sagen. Es ist augenscheinlich, dass in diesem Werk die großen Vorbilder der Kunstgeschichte wirken (Velazquez, Rembrandt), nicht als einfaches Zitat, sondern als Quelle einer erlebbar eigenen, individuellen schöpferischen Kraft.
Die Wirkfaktoren, die wir herausgearbeitet haben, sollten uns letztlich zu dem Punkt in der Kunst führen, der nicht mehr erklärbar ist. Das ist eine Ebene, die wir nur noch erfahren können, für die uns die Worte ausgehen. Aber indem ein Bild all diese Stufen anbietet, die uns zum letztlich Nicht-fassbaren geleiten, erweist es sich als großes Kunstwerk.
Copyright Ralf Debus, Köln 2012
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