Ralf Debus
Das Geheimnis im Offensichtlichen
Zur Wirkung der Serie „Luda“ von Barbara Thaden
Was für den einen Obszönität ist, bedeutet für den anderen das Lachen des Genius.
(D.H.Lawrence)
Furioser Auftritt
Zeichnung aus Serie „Luda“ von Barbara Thaden
Hier geht es gleich zur Sache. Kaum hat man Atem geholt, schon ist man mittendrin: In einem saugenden Fleisch- und Leibgewühle; überall knospen, wachsen und wuchern aus diesen Körpern die Öffnungen, Höhlungen, Rundungen, Brüste, Brustwarzen, Riesenphalli, Hodensäcke und Schenkel. Tierhafte Wesen mischen mit; das kommt von allen Seiten und Richtungen: Leibfragmente, Extremitäten, grotesk große Geschlechtsteile streben aufeinander zu, stecken ineinander, wachsen wieder auseinander hervor. Es geht nicht um anatomische Korrektheit; eine geschlechtliche Überfülle darf sich ausbreiten, steigern und vervielfältigen, wie in einem Treibhaus, in der jede Pflanze zeigt, dass sie fruchtbarer, bunter, und größer ist als die anderen. Lässt der Betrachter sich darauf ein, und wird er nicht Opfer seiner eigenen Abwehr, muss er einer ausschweifenden Drastik, derben Überzeichnungen und einem gewollt hemmungslosen Sich -zeigen standhalten. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit aufkommenden Scham- und Peinlichkeitsempfindungen, die sich gegen die Erregungen stellen, die hier provoziert werden. Denn, was wir sehen, ist so eindeutig, so bestimmt, so zielgerichtet und wirkt wie selbstverständlich, gelassen, sich seiner selbst gewiss: Die lebensprallen Phalli, die offen bereitwilligen Höhlungen, alles reckt sich und streckt sich den Befriedigungen entgegen.
Sich stillender Kreis
Zeichnung aus Serie „Luda“ von Barbara Thaden
Erst einmal sehen wir keinen Konflikt. Das ist sich sättigendes, miteinander spielendes Leben. Die Körper, Organe, Anatomien sind in Kreisformen aufeinander bezogen. In diesem Fließen und Strömen gibt es zuvorderst keinen Widerstand, keine Versagung, sondern ein Bewegen, in dem die Erregungen sich in Lüste auswachsen und die Lüste sich in Befriedigungen verwandeln. In sich versunken thront eine Frau im Akt auf einem mächtigen Phallus, verschmolzen, ineinandergesteckt, sich wie selbstverständlich darbietend, getragen und flankiert von einem Knäuel weicher bloßer Körper, Brüste und Torsi. Das Auge wandert weiter ins nächste Gemenge. Ein großer Rückenakt liegt bäuchlings auf einer anderen Frau, von der wir nur einen kräftigen Hals und einen ausdrucksstarken Kopf sehen; um Hals und Kopf schlingen sich zwei Männerbeine, einzig zusammengehalten von einem fleischigen gebogenen Phallus, aus dessen Schlangenkopfeichel züngelt eine kleine Spitze, die wiederum einer satten, übergroßen Höhlen- und Schenkellandschaft entgegenzuckt. Hier gibt es keine Hierarchien, kein gewaltsames Oben und Unten, keine Rivalitäten; jeder und jedes treibt es mit allem, was da ist.
Notwendige Schatten
In einem zweiten Zugriff werden Brechungen sichtbar. Das lustvolle Spiel stolpert über eingestreute, eingewebte Zwischenstücke: An einem Totenschädel rutschen kleine nackte Frauen herunter; eine Fratzenmaske wird von bocksbeinigen Fabelwesen penetriert; da gibt es seltsame Zwittergestalten und übergroße Klauen greifen zu den Objekten ihrer Begierde. Die möglichen Verkehrungen und Entgleisungen des Sexus flackern auf: Bedrohung, Gewalt, Isolierung, Angst. Das ist diesem Treibhaus wie eine Folie unterlegt. Doch die Bedrohungen werden nie dominant, sie sind notwendige Gegenspieler, die verhindern, dass der Körperreigen sich in Kitsch und Pornographie verwandelt.
Spielerische Provokation
Und quer zu all dem Beschriebenen, ist da nicht noch etwas Drittes, Vermittelndes, das Doppelleben von vielgestaltiger Lust und ihrer Bedrohung Überschreitendes? Ist da nicht eine heitere Überdehnung, ein bewusstes Spielen mit dieser Drastik und Direktheit sexueller Tätigkeiten und Werkzeuge? Das zeichnerische Handwerk wird von Barbara Thaden virtuos und meisterlich souverän eingesetzt. Die Blätter lassen sich beliebig drehen und ständig eröffnen sich neue Perspektiven, überraschende Auf- und Einsichten. Ein frecher, übermütiger, dann wieder weicher und zärtlicher Strich komponiert ganze Leibarchitekturen. Groteskes geht über in Witziges, hinter jeder Rundung lauern neue Wendungen: Aus einer Vulva wächst ein pelziger spitzohriger Tierkopf, dessen Maul sich wieder zu wulstigen Schamlippen verwandelt. Aus einer Frau strebt ein kräftiger Phallus in als Riesenflügel gespreizte, fliegende Beine, aus denen sich drei Brüste und ein Frauenkopf herausschälen. Alles ist in einer schwerelosen Schwebe gehalten, fein und zart, zugleich unverfroren klar und direkt. Diese Blätter lassen sich nicht einfach typisieren. Von der herausfordernden Darbietung einer sich ohne Hemmungen auslebenden Wollust bewegen wir uns laufend in Übergänge hinein: Spiel, Schwebe, Überraschung. Auch das ist eine Kreisbewegung. So wie die Körper und Organe sich ineinander verschlingen, so verwandeln sich Wirkung und Aufbau dieser Leiberreigen von obszöner Klarheit, über spielerische Derbheiten und zarten Schwebefiguren in einen leisen schelmischen Spott.
Die Ironie im Ewig-gleichen
Zeichnung aus Serie „Luda“ von Barbara Thaden
Barbara Thaden hat eine heftige, sich freisetzende Ausdrucksgestalt gewählt, ganz analog der Kraft, die im unbedingten Drängen sexueller Strebungen wirksam ist. Es ist eine entschiedene, von keiner falschen Scham gehemmte Festlegung, „immer das Eine und Einzige“ zum Brennpunkt dieser Serie zu machen: Erregung- tätig werden- sich befriedigen -satt sein- und das Ganze wieder von vorne… Mit einer sich ihrer selbst bewussten, spielerischen Gelassenheit wird hier das Immer-gleiche ständig variiert. Damit bekommen diese so intensiv tätigen Körper eine spöttische Färbung, etwas Tragikomisches, und dem Betrachter wird das Banale am ewigen „Rein-Rausspiel“ bewusst. Das ist keine Abwertung des Ekstatischen. Es wirkt eher wie ein Augenzwinkern, das die Überhöhung des Sexuellen lächelnd unterläuft.
Paradoxie: Exzessive Entblößung braucht Intimität
Die Setzung, so direkt, sich tabulos wiederholend, Sexualität zu gestalten, hat eine verstörende Wucht. Der Vorhang wird nicht gelüftet, sondern mit Verve heruntergerissen. Orgiastische Phantasien werden bildhaft-material und damit öffentlich gemacht. Eine scheinbar grenzenlose Entblößung sexueller Ausdrucksformen wird ins Werk gesetzt - und doch nicht ganz. Nur auf einem Blatt der Serie ist ein Gesicht personalisiert, so dass darin ein Individuum zu erkennen ist. In allen anderen Fällen bleiben die Gesichter maskenhaft oder werden gar nicht ausgestaltet. Das gilt insbesondere auch für die vielgestaltigen Mischwesen, die aus tierischen, männlichen und weiblichen Formen zusammengesetzt sind und keinen individuellen Ausdruck besitzen. Die schamlos sich freisetzende Inszenierung des Sexuellen wird in dieser Unbestimmtheit der Figuren wie durch eine Leerstelle gebrochen und gebremst. Gerade weil die Köper und Organe so selbstvergessen in ihrer sexuellen Trance aufgehen, stellt sich die Frage: Wer sind sie? Auf dem Höhepunkt der ekstatischen Feier provozieren diese Blätter eine Gegenbewegung. Sexualität um ihrer selbst willen endet irgendwann in einem Leerlauf. Die Sexualität braucht einen Anker, einen Gegenpol, in dem sie sich erden und gründen kann: die Erfahrung von personaler Intimität. Es ist eine Leistung der Serie „Luda“ diese grundsätzlichen Verhältnisse des Sexuellen freizulegen.
Zeichnung aus Serie „Luda“ von Barbara Thaden
Das Geheimnis im Offensichtlichen
Kunst ist Form gewordener Prozeß. Die Serie „Luda“ ist ein Kunstwerk, das sowohl hoch aufgeladen als auch subtil differenziert ist. Zwischen diesen Polen werden die Kennzeichen des Werkes in einer schillernden Gestalt zusammengehalten: Die Gelassenheit in der Provokation, die Selbstvergessenheit in der Befriedigung, das Aufflackern von Angst und Bedrohung, die Ironie in Groteske und Wiederholung: ein zur Schau gestellter Exzess, der sich nach personaler Intimität sehnt. Und doch ist das nur eine Annäherung. Es gibt etwas Wirksames in diesen Blättern, das darüber hinausweist und nicht ganz fassbar ist. Hier werden Kunst und Sexualität als ein ausschweifendes Fließen und Strömen verkörpert. Eine vertraute Lebenskraft breitet sich aus. Jedoch der Ursprung dieser Kraft und vor allem ihre Frische, sich immer wieder wie neu, wie gerade geboren zu verwirklichen, bleibt bei aller Annäherung ein Geheimnis. Barbara Thaden ist auf dieses Geheimnis zugegangen, hat diese Lebenskraft herausgefordert, sich entzünden, wuchern und sich erfüllen lassen. Dabei ist eine freche, funkelnde, über sich selbst hinausweisende Form entstanden. Ein Werk, das wie ein Versprechen wirkt: immer weiter an einem persönlichen Garten der Lüste zu malen.
© Ralf Debus aus Barbara Thaden "Dessins erotique" - Köln 2012
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